Alexander Redlich

Alexander Redlich

… ist Professor (i. R.) für Pädagogische Psychologie und hat Psychologe, Sozialpädagogik, Lehramt studiert. Er ist Mediator und Ausbilder BM®, wissenschaftlicher Leiter der Ausbildung "Konfliktberatung und Mediation" an der Universität Hamburg und seit Gründung im Vorstand von KOMET.
Seine Forschung und Lehre bezogen sich auf die Beratung von Lehrkräften und Schulklassen, ausgrenzungsgefährdete Kinder und ihre Familien, Dynamik von Arbeitsgruppen und Führung in Wirtschafts- und Verwaltungsorganisationen. Seit 10 Jahren geht es um Werte und Normen großer Gruppen. Dabei standen immer Kommunikation, Kooperation und Konfliktbewältigung in und zwischen den Mitgliedern menschlicher Gruppen im Mittelpunkt - nach dem Motto "Am Anfang war die Gruppe".

Zur Dynamik eines Konfliktes und seiner Bearbeitung gehört ein gutes Verständnis vom Wesen und der Wirkung kommunikativer Eskalation. Derzeit interessiere ich mich insbesondere für die Erforschung von Kritik-Aussagen, die eskalierend oder nicht-eskalierend wirken.

Konfliktmoderator*innen erleben nicht selten, dass Konfliktparteien sich im Eifer des Konfliktes wechselseitig negative Weltanschauungen vorwerfen. Man erkennt diese Vorwürfe daran, dass die jeweilige Weltanschauungsbezeichnung ein „-ismus“ aufweist und offensichtlich negativ gemeint ist („Wohlfahrtstourismus“, „Rassismus“ usw.). Unterschiedliche Auffassungen von der richtigen Weltsicht erzeugen als Intragruppenkonflikte oft erhebliche Unsicherheit innerhalb der Gruppe. Sie fördern bei Gruppenmitgliedern Gemeinschafts- und Zugehörigkeitszweifel, lösen Berührungsbefürchtungen aus und setzen erhebliche Energie zur kognitiven Abwehr frei. Sie können Gruppen spalten und zu Intergruppenkonflikten werden, in denen die ursprünglichen Ambivalenzen aus der einst gemeinsamen Gruppe einen für Außenstehende schwer verständlichen Hass aufeinander erzeugen. Dies belegen schmerzhafte Spaltungsprozesse in Familien und  politischen Parteien ebenso wie die Konfliktgeschichte des Christentums. Für die moderative Konfliktbehandlung scheint es daher sinnvoll, die konfliktverschärfende Kraft der Kommunikation über eine unterschiedliche Weltsicht genau in den Blick zu nehmen.

Die Metapher von „Vokabeln und Grammatik“ für die Arbeit von Mediator*innen in dem gleichnamigen Beitrag von Kirsten Schroeter finde ich prägnant und weiterführend. Sie beschreibt damit die unterschiedlichen Ebenen mediatorischen Zuhörens und Sprechens. Einerseits findet dies auf der Ebene der „Vokabeln“ statt, also den konkreten inhaltlich-fachlichen Begriffen in einem konkreten Konflikt und seinem konkreten Setting. Andererseits hören und sprechen wir Mediator*innen auf der Ebene der Grammatik, den darunterliegenden Mustern oder Strukturen von konfliktbezogenen Bedeutungen.

Das klassische Vorgehen sieht ja bei der Klärung von Hintergründen zu einem Konfliktpunkt einen sachbezogenen Ablauf vor: 

 

  1. Störung (Fakten, Handlungen), 
  2. ausgelöste Gefühle, 
  3. enttäuschte Bedürfnisse, verletzte Werte, 
  4. konkretisierte Interessen. 

Auf den Interessengegensätzen bauen dann die Sammlung von kreativen Ideen zu Maßnahmen sowie das Aushandeln von Modifikationen strittiger Maßnahmen auf.

Die Definition von Allparteilichkeit wird oft mit dem Hinweis verbunden, dass die Mediatorin mit dem emotionalen Ausdruck des Klienten mitgehen sollte. Das ist ein schwieriges Unterfangen, weil es einen inneren Widerspruch enthält. Die Art, Gefühle zum Ausdruck zu bringen, soll ja am besten menschlich, sprich authentisch-spontan und nicht geplant-kontrolliert sein. Eine professionell ausgeübte Empathie läuft dementsprechend leicht Gefahr, aufgesetzt zu wirken. Wenn sie andererseits spontan und vollkommen authentisch zum Ausdruck gebracht wird, könnte sie allerdings auf den Klienten störend oder verwirrend wirken: „Ist der Mediator jetzt tatsächlich selbst so betroffen?“ Parallel dazu kann das gezeigte Mitgefühl des Mediators die notwendige Konzentration auf die sachliche, innerseelische und zwischenmenschliche Konflikt-Problematik irritieren.

In einem vorigen Beitrag "Wie halte ich es mit der Macht im Machtgefälle?" habe ich begründet, weshalb ich bei starken Machtgefällen in Intragruppenkonflikten mittlerweile bevorzugt nicht mehr mit der Gesamtgruppe, sondern in kleineren Settings arbeite. Wie sehen dann brauchbare Arbeitsformate aus?

In Fortführung meiner Gedanken zum Umgang mit asymmetrischen Konflikten bei der Bearbeitung von Intragruppenkonflikten "Alle gegen einen!" - Knifflige Verfahrensfragen in der Mediation" möchte ich meine eigene Haltung dazu beschreiben – und wie sich diese über die Jahre verändert hat.

Zu den Besonderheiten von Mediationen in Gruppen gehört, dass sich in jeder Phase ein starkes Ungleichgewicht zeigen kann – dazu drei Beispiele: 

Im Vorgespräch für die Klärung eines Dauerkonfliktes in einer Abteilungsleiterrunde sagt der Vorgesetzte, dass Entscheidungen oft mit 11 Ja-Stimmen, 2 Nein-Stimmen und 0 Enthaltungen getroffen werden. Er fügt hinzu, dass es sich immer um dieselben beiden (älteren) Personen handele, die gegen die Vorhaben der (jüngeren) Mehrheit stimmten. Die beiden lägen außerdem oft miteinander im Streit.