Im kollegialen Austausch stellten wir beide fest: Wir haben im Laufe der Jahre im Umgang mit „hidden agendas“ eine entspannte, pragmatische und sehr funktionale Haltung entwickelt, ganz im Sinne von: Für „hidden agendas“ kann es viele gute Gründe geben. Sie sind überaus normal und schlicht sehr menschlich!
Wir berücksichtigen „hidden agendas“ insofern nur, wenn wir befürchten, dass sie explizite Fallstricke für unsere Mediationsarbeit darstellen – mit besonderem Augenmerk schauen wir dabei auf die Auftragsklärung und die Lösungsentwicklung bzw. -verhandlung. Sobald wir den Eindruck haben, dass „hidden agendas“ ein Hindernis für ein klares, tragfähiges Mandat oder ein konsensfähiges Ergebnis darstellen könnten, überprüfen wir dies anhand eines Dreischritts:
- Wir nehmen unsere Vermutung wahr und ernst. Um Intuition für unser professionelles Handeln als Mediatorin nutzbar zu machen, benötigen wir vor allem einen Zugang zu ihr. Die Überzeugung, dass eine reine Vermutung ein wertvoller Hinweis sein kann, ist für uns eine Voraussetzung, um sie überhaupt wahrzunehmen.
- Wir legen unsere Vermutung offen und loten gemeinsam mit den Konfliktbeteiligten Handlungsspielräume aus, indem wir die Parteien zur Spekulation darüber einladen, was (Hinter-)Gründe für die aktuelle Blockadesituation sein könnten. Wie das ohne nennenswerten Gesichts- und Kontrollverlust bei den Parteien gelingen kann, wäre einen eigenen Blog-Beitrag wert.
- Bei Bedarf unterstützen wir die Beteiligten in separaten Gesprächen dabei, informierte Entscheidungen zu treffen, ob und wenn ja wie sie ihre „hidden agenda“ offenlegen möchten. Hierzu hat es sich als hilfreich erwiesen, wenn die Parteien für sich eine Risikoanalyse durchführen: Was kann schlimmsten- und bestenfalls passieren, wenn die „brisanten“ Hintergründe (nicht) offen gelegt werden?
Im optionalen Gedankenspiel können so Ideen entwickelt werden, was möglicherweise wie sagbar werden kann. Wesentlich ist, dass wir als Mediatorinnen hierbei ergebnisoffen bleiben: Es ist gleichermaßen legitim, relevante Hintergründe offenzulegen sowie sie– aus guten Gründen – zu verschweigen.
Von uns Mediatorinnen erfordert dies ein hohes Maß an Akzeptanz für das Dilemma der Konfliktbeteiligten und ihre individuelle Entscheidung, wie sie mit diesem Dilemma umgehen wollen: Es ist ihr Konflikt. Sie allein entscheiden nicht nur, ob sie ihn überhaupt austragen wollen, sondern auch wie!
Silke Freitag
… beschäftigt sich seit über zwanzig Jahren als freiberufliche Mediatorin leidenschaftlich mit Konflikten in und zwischen Organisationen sowie im öffentlichen Bereich. » zum Blogprofil von Silke Freitag
Kirsten Schroeter
… hat es beruflich mit Konflikten in Organisationen und Unternehmen zu tun, aus Überzeugung nicht auf eine Branche spezialisiert, sondern auf die Qualität der fachlichen und zwischenmenschlichen Zusammenarbeit und der Kommunikation. » zum Blogprofil von Kirsten Schroeter