Die strukturellen Elemente des Analogen, wie z.B. die Einzelarbeit an individuellen Wänden, Gruppenarbeit an gemeinsamen Wänden, das Sortieren, Clustern, Punkten, Priorisieren oder „Umhängen“ an andere Wände lassen sich dabei gut ins Digitale übertragen. Technische Steuerungsmöglichkeiten lassen verdecktes - sprich anonymes - Arbeiten ebenso zu wie eine transparente Zuordnung der Urheberinnen. Sie eröffnen darüber hinaus gar neue Möglichkeiten, wie z. B. getrennte Einzel- oder Kleingruppenarbeit an einer gemeinsamen Wand, an der dann alle Beiträge unmittelbar für alle sichtbar werden. Rückblickend kann ich sagen, dass ich mit den digitalen Moderationswänden einen guten und vergleichbaren Ersatz gefunden habe.
Und doch zeigen sich bei genauerer Betrachtung feine Unterschiede, die ich in diesem Beitrag beleuchten möchte.
Der wichtigste inhaltliche Unterschied liegt in den Beiträgen selbst. Werden auf Moderationskarten aus Papier in der Regel kurze Halbsätze festgehalten, die nicht selten in erklärungsbedürftigen Stichworten enden, regen die digitalen Karten dazu an, Gedanken länger auszuführen und bei Bedarf mit Erläuterungen zu versehen. Unter den längeren Beiträgen leidet schnell die Übersichtlichkeit des ohnehin schon begrenzten Platzes am Bildschirm. Andererseits erlebe ich in Prozessen, in denen mit den Ergebnissen weitergearbeitet werden soll, die ausführlicheren Beiträge als hilfreich, da die Karten für sich sprechen und auch noch nach längeren zeitlichen Unterbrechungen klar ist, was damit gemeint war.
Ein weiterer Punkt, der mehr einem Bauchgefühl von mir entspringt, ist, dass die Beiträge etwas reflexiver sind, etwas mehr Abstand aufweisen als ihre handgeschriebene Pendants, etwas mehr „Kopf“ als „Bauch“ beinhalten. Ich bin mir nicht ganz sicher, worauf dieser Effekt zurückzuführen ist. Ob es vielleicht nicht auch in großen Teilen dem Gesamtsetting zuzuschreiben ist, das ja für alle Distanz herstellt, Emotionen nicht so unmittelbar erlebbar und das emphatische Einfühlen nicht so einfach macht. Am deutlichsten wird dies, wenn man die Technik des Bild-Malens im analogen und im digitalen Format vergleicht. Stellen die Beteiligten ihre Bilder vor, so finden die Teilnehmenden mit dieser Methode im analogen Format häufig Zugang zu emotional brisanten oder bewegenden Themen. Im Digitalen hat dies meiner Erfahrung nach weniger gut funktioniert.
Auch die moderative Arbeit hat sich verändert. Sie verläuft weniger spontan, mehr geplant – gerade bei komplexeren Prozessen: Ist eine Moderationswand in verschiedene inhaltliche Bereiche aufgeteilt, sollen verschiedene Wände auf eine Wand zusammengeführt werden, soll sortiert, geclustert und priorisiert werden, so wollen all diese Schritte vorab geplant und technisch vorbereitet sein. Das macht die Arbeit mit zwei Personen oder kleineren Gruppen zeit- und arbeitsaufwändiger. Umgekehrt erleichtert die digitale Verarbeitung bei mehr Beteiligten oder Großgruppen die weitere Arbeit. Der zusätzliche Vorbereitungsaufwand wird dann durch den Zeitgewinn kompensiert, der sich ergibt, wenn man 10 Wände in kürzerer Zeit an eine neue Wand zusammenführt oder die Ergebnisse strukturiert zur Weiterverarbeitung exportiert. Möglichkeiten wie das verdeckte Vorsortieren von Karten noch während die Gruppe arbeitet, erleichtern das anschließende Clustern mit der Gruppe ungemein.
Die Vor- und Nachteile versuche ich mir zu vergegenwärtigen und gezielt zu nutzen und zu kombinieren, z.B. indem man auch bei virtuellen Mediationen oder Moderationen analoge Bilder malen lassen kann. Welche Erfahrungen und Erkenntnisse haben Sie gemacht? Ich bin neugierig zu erfahren, auf was noch geachtet werden kann und sollte.