Was genau lässt eine Kritik eskalierend wirken? Von den Besonderheiten der Ich-, Du- und Man-Botschaften

10. März 2022, geschrieben von 

Zur Dynamik eines Konfliktes und seiner Bearbeitung gehört ein gutes Verständnis vom Wesen und der Wirkung kommunikativer Eskalation. Derzeit interessiere ich mich insbesondere für die Erforschung von Kritik-Aussagen, die eskalierend oder nicht-eskalierend wirken.

Kurz gesagt: Als typische Anzeichen für die eskalierende Wirkung einer Aussage kann gelten, wenn die Adressat:innen der Aussage danach

  1. verstärkte negative Gefühle gegenüber der sprechenden Person spüren (Ärger, Angst, Entmutigung, Verachtung usw.),
  2. eine konflikthafte Entwicklung der Kommunikation in der Zukunft für wahrscheinlich halten und
  3. eine Verschlechterung der Beziehung erwarten.

Acht Studierende, die bei mir am Institut für Psychologie in den vergangenen Jahren ihre Abschlussarbeiten verfasst haben[1], und ich haben herausbekommen, dass folgende Formen kritischer Aussagen eskalierend wirken:

  • Herabsetzungen im Sinne negativer Eigenschaftszuschreibungen (z.B. „Wie kann man nur so distanzlos sein wie Du.“),
  • Verallgemeinerungen vom Einzelverhalten über Verhaltensmuster, Eigenschaften bis zu ganzen Fremdbildern („Du drängst Dich den Leuten immer auf.“ – „Du bist die Distanzlosigkeit in Person.“),
  • Ausgrenzungsbedrohungen („Wenn Du so weiter machst, wirst Du bei uns Probleme bekommen.“) und
  • Selbstbestimmungsverletzungen, d.h. Aussagen, die Themen betreffen, die zum Selbstbestimmungsbereich der angesprochenen Person gehören wie Wahl des Kleidungsstils, Partnerwahl usw. („Du solltest einfach mal weniger essen und nicht so schrecklich enge Kleider tragen.“).

Es zeigte sich, dass kritische Ich-Botschaften und kritische nicht-verallgemeinernde Beschreibungen am wenigsten eskalieren und dabei gleichauf liegen. Nur wenn Führungskräfte kritische Ich-Botschaften senden, wird das von den Mitarbeiter:innen als bedeutsam positiver erlebt als neutrale Beschreibungen der Kritik. Verallgemeinerte, herabsetzende Du-Botschaften, Selbstbestimmungsverletzungen und Ausgrenzungsbedrohungen sind allesamt bedeutsam eskalierende Faktoren.

Doch wie steht es um die eskalierende Wirkung von sogenannten „Man-Botschaften“ („Das macht man nicht.“)? Dazu läuft derzeit eine nächste Abschlussarbeit. Der Student Frederik Nockemann hat mich auf diese Thematik gebracht, und ich habe bei der näheren Beschäftigung damit einiges dazu gelernt. Für die Analyse dient das Kommunikationsquadrat mit seinen vier Seiten einer Aussage als Bezugspunkt. Selbstverständlich sind in jeder Aussage Anteile aller vier Seiten, aber eine Seite steht oft im Vordergrund.

Das „gewaltfreie“ Formulierungsmuster von Rosenberg spiegelt im Grundsatz alle vier Seiten wieder: Der beobachtete Sachverhalt wird genau beschrieben („Wenn Du Dich soundso verhältst…“). Die darin enthaltene Du-Botschaft gibt einen aktuellen relevanten Beziehungsaspekt wieder (implizit: „Du verhältst Dich im Gegensatz zu mir…“). Die Selbstkundgabe („… dann erlebe, fühle, empfinde ich…“) wird als Ich-Botschaft zum Ausdruck gebracht und schließlich ein Appell (Bitte um Veränderung) gestartet.

Bei Ich-Botschaften im engeren Sinne hat insofern die Selbstkundgabe Vorrang („Ich bin über diese Information irritiert; sie entspricht nicht meinem Kenntnisstand.“), während es bei Du-Botschaften vor allem um Beziehungsaspekte geht („Du hast falsch informiert.“), eine nicht-verallgemeinernde Beschreibung des kritisierten Verhaltens („Diese Information ist nicht korrekt.“) informiert hauptsächlich über einen Sachverhalt.

Bei Man-Botschaften hingegen steht der Appell im Vordergrund („Man soll sich nach der Norm xy verhalten!“). Man-Botschaften beziehen sich also immer auf allgemeine Verhaltensnormen, enthalten den Vorwurf ihrer Verletzung und sind damit oft auch unausgesprochene Ausgrenzungsbedrohungen.

Wir wissen nicht, wie sich diese einzelnen Kommunikationsformen im Verbund gegenseitig verstärken. Dieses zu klären ist die Aufgabe weiterer Forschung.

[1] Laura Lange, Lidia Evchenko, Daniela Malz, Jana Heckert, Alisa Atsel, Julia Kienass, Jörg Harmjanz, Xaxil-há Wendt

Letzte Änderung am 10. März 2022
Alexander Redlich

… ist Professor (i. R.) für Pädagogische Psychologie und hat Psychologe, Sozialpädagogik, Lehramt studiert. Er ist Mediator und Ausbilder BM®, wissenschaftlicher Leiter der Ausbildung "Konfliktberatung und Mediation" an der Universität Hamburg und seit Gründung im Vorstand von KOMET.
Seine Forschung und Lehre bezogen sich auf die Beratung von Lehrkräften und Schulklassen, ausgrenzungsgefährdete Kinder und ihre Familien, Dynamik von Arbeitsgruppen und Führung in Wirtschafts- und Verwaltungsorganisationen. Seit 10 Jahren geht es um Werte und Normen großer Gruppen. Dabei standen immer Kommunikation, Kooperation und Konfliktbewältigung in und zwischen den Mitgliedern menschlicher Gruppen im Mittelpunkt - nach dem Motto "Am Anfang war die Gruppe".

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