Die Antworten auf meine Frage sind sehr unterschiedlich:
Sie reichen von „Am liebsten möchte ich, dass alles wieder so gut wird wie früher!“ oder „Meine Hoffnung ist nicht wirklich groß, aber es muss doch irgendwie möglich sein, dass wir als Erwachsene hier gemeinsam die Kampagne stemmen!“ im Sinne eines Miteinanders (Kooperation) über „Wenn Sie mich so direkt fragen, dann wünsche ich mir zukünftig einfach, dass wir beide in Ruhe in all unserer Unterschiedlichkeit unsere Arbeit machen können, ohne uns ständig zu behindern!“ oder „Am liebsten würde ich das Büro wechseln. Ich glaube, wenn wir uns nicht mehr so eng auf der Pelle sitzen würden, würde es weniger eskalieren!“ im Sinne eines Nebeneinanders (Entflechtung) bis zu einem „Ich habe ein Budget für Abfindungen, Frau Freitag. Ich wäre sofort bereit, ihm einen sechsstelligen Betrag auf den Tisch zu knallen, wenn ich ihn dann bloß los wäre!“ im Sinne eines klaren Auseinanders (Trennung).
Häufig gibt es bei den Beteiligten eine erklärte Lieblingsvariante und eine auch vorstellbare. Erstaunlich häufig ist der präferierte Weg meiner Erfahrung nach deckungsgleich. Wenn das so ist, dann bespreche ich in der ersten gemeinsamen Sitzung mit den Beteiligten, welchen der drei möglichen Wege sie als erstes betrachten wollen, um zu schauen, ob sie zu einer zufriedenstellenden Vereinbarung gelangen können.
In vielen Fällen sprechen sich beide für das Miteinander als präferierten Weg aus. Hierzu habe ich die Rückmeldung erhalten, wie wohltuend es war, dies früh von der anderen Partei derart klar gehört zu haben und auch sich selbst einmal bewusst gemacht zu haben, dass dies unter den drei Wegen wirklich trotz aller aktuellen Probleme der beste zu sein scheint. Eine Beteiligte äußerte allerdings auch, dass es ihr durch dieses Vorgehen leichter gefallen sei, anzusprechen, dass sie sich gern zum Vergleich die Entflechtungsalternative anschauen würde.
Wenn sich beide Beteiligte jedoch auf ein Nebeneinander (im Sinne einer internen Entflechtung) oder auch ein Auseinander (im Sinne einer vollumfänglichen zukünftigen Trennung) als erste zu betrachtende Variante einigen, so verändert sich der Fokus meiner Mediation deutlich: Ich arbeite in diesem Fall nicht die Konflikte der Vergangenheit mit ihnen auf, sondern erarbeite für die Zukunft relevante Themen und dazugehörige Interessen. In diesen Fällen haben mir Parteien mitgeteilt, dass sie es als hilfreich erlebt hätten, dass ich ihnen trotzdem Raum für ihre Emotionalität und ihr Leid gegeben und umfassend anerkannt hätte – dies jedoch in getrennten Gesprächen. Meine Hypothese ist, dass diese Einzelgespräche einerseits als gesichtswahrender erlebt werden und andererseits die Beteiligten auch nicht (mehr) allzu sehr emotional in Gegenwart der anderen investieren möchten.
Ob die Parteien am Ende weiter zusammenarbeiten oder sich trennen, bewerte ich mittlerweile nicht mehr im Sinne eines „besser“ oder „schlechter“, sondern schaue mit ihnen lediglich, welcher Weg für sie jeweils der zukünftig derjenige mit der höchsten Zufriedenheit zu sein vermag.
Die Rückmeldung einer Hebamme hat mir bei dieser Sicht vor Jahren sehr geholfen. Sie schrieb mir nämlich, dass sie plötzlich bestimmte Verhaltensweisen ihrer Kollegin nicht mehr wirklich nerven würden und sie sogar das erste Mal wieder zusammen gelacht hätten Die Leitfrage dieser Mediation lautete: Wie können die Beteiligten bestmöglich nebeneinander in ihren gemeinsam gemieteten Räumen arbeiten, ohne dass diese Veränderung nach außen sichtbar wird? Das Ziel war somit die klare interne Entflechtung der Parteien; und ich bin heute davon überzeugt, dass es für diese beiden Hebammen tatsächlich ein zufriedenstellender Weg war.
Ich freue mich deshalb heute sogar, wenn eine Führungskraft sich auf meine direkte Frage hin traut, offen anzusprechen, dass sie sich wünschen würde, dass der Mitarbeiter das Team verlässt. Wenn beide ruhig darüber sprechen können und der Mitarbeiter beispielsweise seine Abfindung als Startkapital für seine Selbstständigkeit investieren und sich so einen Lebenstraum verwirklichen kann, dann haben die beiden Konfliktparteien für sich schlicht den bestmöglichen Weg in der Trennung gefunden.
Ich bin davon überzeugt, dass es für die Konfliktparteien wichtig ist, dass wir als Mediator*innen selbst gleichermaßen offen für alle drei grundsätzlichen Wege der Beteiligten sind. Mir persönlich fällt diese gleichberechtigte Offenheit leider nicht immer leicht, so dass ich dankbar für kollegialen Austausch insbesondere im Sinne von kleinen erfolgreichen Entflechtungs- und Trennungsgeschichten bin.