Wie sieht meine Zukunft als Mediatorin per Videokonferenz aus? – oder: Wann ich sie wirklich zu schätzen gelernt habe

26. Mai 2021, geschrieben von 

Wie so einige Kolleg*innen habe ich pandemiebedingt – und somit im Grunde unfreiwillig – damit begonnen, Mediationen in den virtuellen Raum zu verlegen. Damals war für mich völlig klar, dass ich vollumfänglich in Präsenz zurückkehren würde, sobald es nur irgendwie möglich sein würde. Videokonferenzen waren für mich ausschließlich ein Hilfsmittel in der Krisenbewältigung.

Ein Jahr später hat sich mit der gesammelten Erfahrung mein Blick verändert. Ich sehe die Vor- und Nachteile mittlerweile differenzierter und weiß in manchen Fällen Videokonferenzen durchaus sehr zu schätzen. Der Wegfall von Reisekosten (Finanzen, Zeit und CO2-Belastung) liegt hierbei auf der Hand und wird sicherlich zukünftig zu einem Abwägungskriterium für mich und vermutlich für viele Konfliktparteien selbst werden. Darüber hinaus gibt es jedoch auch Auswirkungen auf den Mediationsprozess an sich, die ich hilfreich finde. Drei Gedanken zu Szenarien, in denen ich wohl auch zukünftig virtuelle Formate gezielt nutzen werde:

Überdenkenswert finde ich Mediationen im virtuellen Raum in Konstellationen, in denen es absehbar nicht um eine Verbesserung der Kooperation in Form eines Miteinander, sondern vielmehr um klare Entflechtung im Sinne eines Nebeneinander oder Trennung in Form eines Auseinander geht. Hier haben die Konfliktparteien wiederholt zurückgemeldet, wie wohltuend es war, energetisch nicht im selben Raum zu sitzen, sondern sich trotz hoher Emotionalität im virtuellen Raum gut auf sich selbst konzentrieren zu können. Dies traf gleichermaßen auf den privaten wie beruflichen Bereich zu: egal, ob es um die gemeinsamen Kinder nach der Scheidung oder die gemeinsame Praxis im Trennungsprozess ging. Hier werde ich zukünftig die Konfliktparteien proaktiv fragen, ob sie sich lieber an einem Ort oder im virtuellen Raum treffen möchten, und kann mir auch vorstellen, erst einmal virtuell zu starten und erst im Laufe des Prozesses im physischen Raum zusammen zu kommen.

Ein zweites Phänomen finde ich in meiner Praxis bemerkenswert - und es deutet sich auch empirisch an, indem die statusniedrigere Partei online relativ gesehen zufriedener aus der Mediation heraus geht, während die höhergestellte Person im Vergleich in beiden Formaten eine höhere Zufriedenheit zeigte (Bollen & Euwema, 2013): Der virtuelle Raum vermag offenbar informelle Machtungleichgewichte besser auszugleichen. Dieser Machtausgleich im Rahmen von Mediation liegt mir sehr am Herzen (siehe dazu auch meinen Beitrag zum Umgang mit Privilegien und Diskriminierungserfahrungen). Bisher können wir nur mutmaßen, worin dieser Vorteil begründet liegt: Im virtuellen Raum vor dem Computerbildschirm entfällt spürbare emotionale Dominanz im Raum über Gesten wie beispielsweise raumgreifendes breitbeiniges Sitzen oder das Verschränken der Arme hinter dem Kopf. Gleichzeitig sitzen Konfliktparteien, die sich im Alltag unterlegen fühlen, in einer für sie unterstützenden Umgebung.

Des Weiteren stelle ich fest, dass durch das virtuelle Arbeiten kürzere Treffen selbstverständlicher werden: Wenn beispielsweise im Rahmen der Mediation eine Frage an den Betriebsrat auftaucht, so ist es virtuell ein Leichtes, die Konfliktparteien, ein Mitglied des Betriebsrats und die Mediatorin auch einmal nur für eine Viertelstunde zusammen zu schalten. Gleichermaßen schätzen einige Konfliktparteien nach dem Mediationsprozess kontinuierliche Begleitung über kurze Check-ins (bisweilen nur für 15 bis 30 Minuten) in der Nachbetreuung. Ich gehe somit davon aus, dass nicht nur meine Mediationsprozesse der Zukunft hybrider werden könnten und es neben Treffen an einem Ort eine Online-Nachbetreuung geben könnte.

Wie sieht es bei Ihnen aus? Gibt es auch bei Ihnen etwas, was Sie aus der Zeit der Pandemie zukünftig ohne Not beibehalten möchten?

Quelle:

Bollen, K., & Euwema, M. (2013). The role of hierarchy in face-to-face and e-supported mediations: The use of an online intake to balance the influence of hierarchy. Negotiation and Conflict Management Research, 6(4), 305-319.

Letzte Änderung am 26. Mai 2021
Silke Freitag

… beschäftigt sich als freiberufliche Mediatorin seit über zwanzig Jahren leidenschaftlich mit Konflikten in und zwischen Organisationen sowie im öffentlichen Bereich. Sie vermittelt Handwerk und Kunst der Mediation an der Universität Hamburg sowie der KURVE Wustrow. Sie liebt bei alldem die Balance aus Bewährtem und Neuem. Gemeinsam mit geschätzten Kolleg*innen erprobt sie in Mediation und Ausbildung Neues, verwirft manches und entwickelt anderes weiter. Mit Freude reflektiert sie diese Erfahrungen - sehr gern auch schreibend.

4 Kommentare

  • Kommentar-Link Sascha Boettcher 27. Mai 2021 gepostet von Sascha Boettcher

    Ich habe eine Hypothese zur höheren online Zufriedenheit (niedriger
    Status) vielleicht sind sie digital affiner bzw. gewohnter im täglichen
    Streit im Alltag durch Wapp und Co. Führungspersonen achten bewusster
    auf den Kommunikationskanal und werden vermutlich manches nur persönlich
    klären. 2. These im selben Raum wirkt der Status (informelle Macht)
    stärken. Team sitzt z.B. im Raum mit mir. Vorgesetzter betritt den Raum,
    Das Klima wird merklich anders. Das habe ich virtuell noch nicht erlebt.
    Oft sind Personen mit einem niedrigeren Status auch kompetenter online.
    Das ist faktisch schon so wenn ich mit meiner Tochter online bin. Da hat
    sie ein anderes Selbstbewustsein als präsent, zumindest seitdem sie
    erlebt hat, dass sie mir etwas zeigen kann. Das ist im Alltag ja
    meistens anders, da sie sich von uns Eltern etwas abguckt.

    Wie gesagt nur ein Diskussionsansatz. Bin gespannt welche Ergebnisse wir
    in Zukunft finden.

  • Kommentar-Link Silke Freitag 08. Juni 2021 gepostet von Silke Freitag

    Lieber Sascha,
    hab herzlichen Dank für das Teilen deiner Hypothesen und Erfahrungen zum geringeren Macht-Ungleichgewicht in Online-Mediationen!

    Ich freue mich darauf, weiterhin Erfahrungen mit dir und anderen Kolleg*innen zu teilen, um zukünftig Konfliktparteien im Hinblick auf das passende Format bestmöglich beraten zu können!

    Herzliche Grüße
    Silke

  • Kommentar-Link Oliver Lokay 06. Oktober 2021 gepostet von Oliver Lokay

    Die von dir beschriebenen Punkte decken sich mit meinen Erfahrungen aus Beratung und Konfliktmoderation/Mediation.

    Ich möchte ergänzen, dass auch ich einen (wenn nicht blinden, so doch trüben) Fleck hatte hinsichtlich der Arbeit online. Ich bin ganz froh, dass sich dies jetzt klärte und das gilt bei mir für den Haupt- wie den Freiberuf.
    Trüber Fleck einerseits, weil es ein gutes Stück "Autopilot" war, dass Beratung etc. eben face-to-face stattfindet. Isso. Punkt.
    Andererseits aber waren die technischen Gegebenheiten auch nicht da. Hier rede ich nicht nur von Videotelefonie an sich, sondern vor allem von sicherer Videotelefonie i.S. der schweigepflichtigen Berufsgruppen. Ein Punkt übrigens, den Mediator:innen und Berater:innen gut bedenken sollten...

    Was ich nun feststelle ist, dass weiterhin viele Menschen die Präsenz vorziehen, dass aber ebenso viele das Videoformat explizit wünschen.

    Und, jetzt kommts: in Summe werden es so mehr. Denn es entsteht Kontakt zu Personengruppen, die vorher nicht persönlich gekommen wären.
    Sei es aus den von dir beschriebenen Gründen oder, noch simpler, weil für immer mehr Menschen Arbeitsort und Lebensort nicht mehr gleich sind. Und/oder, weil (am Beispiel der betrieblichen (Konflikt-)Beratung) die Sichtbarkeit viel geringer ist.

    Viele Grüße! Oliver

  • Kommentar-Link Silke Freitag 15. Oktober 2021 gepostet von Silke Freitag

    Lieber Oliver,
    hab herzlichen Dank für das Teilen deiner Erfahrungen!

    Du nennst hier nochmal einen wichtigen Faktor: Über das Online-Format können sich auch Menschen, die weiter entfernt von einer Stadt leben, frei aussuchen, von wem sie sich beraten oder mediieren lassen möchten und es entfallen weite Anfahrtswege.

    Herzliche Grüße
    Silke

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