Rituale in Beratung und Mediation: Loslassen und Neubeginn unterstützen

16. Februar 2022, geschrieben von 

Nach einem Konflikt den Groll wirklich loszulassen, den Resetknopf zu drücken und einen Neubeginn zu wagen, den Kolleg*innen eine neue Chance zu geben – all das ist so manches Mal leichter gesagt als getan. Rituale können dabei unterstützen, diesen Schritt zu vollziehen.

Manchmal gestalte ich ein Ritual selbst, indem es Teil der Beratung oder Mediation ist, manchmal gebe ich die Idee des Rituals auch in die Gruppe und schaue, was geschieht.

Pandemiebedingt bin ich mit meinen Klient*innen in der Einzelberatung oft spazieren gegangen. Da ich am Waldrand lebe, gehe ich mittlerweile gerne erst durch eine nahegelegene Schlucht und anschließend auf einen kleinen Berg inmitten von Heidelandschaft. Der weite Blick unterstützt die Suche nach neuen Wegen.

Sehr gerne nutze ich auch Feuer in Ritualen. Pandemiebedingt fanden beispielsweise immer mal wieder Gesprächsrunden am Lagerfeuer statt, denn im Frühjahr und Herbst arbeitete es sich draußen sonst nicht so kuschelig. Hieraus sind einige Übergangsrituale mit dem Feuer entstanden: So können alle Beteiligten das, was sie nicht mit in die Zukunft nehmen möchten auf Moderationskarten schreiben und sie in eine Feuertonne werfen. Dies kann natürlich in unendlich vielen Variationen geschehen: Die Karten können zerknüllt werden, nachdem sie laut vorgelesen werden; manchmal brennt das Feuer bereits; manchmal wird es erst angezündet, wenn alle Karten in der Tonne gelandet sind; manchmal wird applaudiert, einmal fand dieses Ritual auch in absoluter Stille statt.

In einer Praxisgemeinschaft wiederum wurden die Räume nach der Mediation gemeinsam mit Salbei ausgeräuchert, um rituell Platz für neue Energien zu schaffen. Aber auch das pandemiebedingt üblich gewordene Lüften können wir hierbei als Unterstützung nutzen. Ein anderes Team hat sich dafür entschieden, Ballons aufsteigen zu lassen und die guten Wünsche für die zukünftige Zusammenarbeit daran zu knoten.

Meiner Kollegin Stefanie Krüger verdanke ich ein weiteres Ritual in Anlehnung an die „Bowl of Light“ aus der hawaiianischen Tradition. Hierbei geht es darum, Steine als Symbole für das Belastende und Schwierige in eine Schüssel zu legen. Wenn eine Person ihre Steine hineingelegt hat, kann sie die Schale umkippen, so dass die Schale wieder frei ist, und die Schale weitergeben. Oder alle legen nacheinander ihre Steine hinein und kippen abschließend gemeinsam die Steine aus. 

In Verbundenheit mit dem Meer schätze ich es auch, Papierschiffe aufs Meer hinaus fahren zu lassen. Nun ist das Meer natürlich nicht immer in greifbarer Nähe, aber Flüsse führen bekanntlich zum Meer, so dass sich Elbe, Weser und Rhein genauso gut anbieten. Selbst mit kleinen Bächen habe ich schon gute Erfahrungen gemacht. Wichtig ist nur ein ungestörter Platz am Meer, Fluss oder Bächlein. Ich nutze hierbei übrigens gern Aquapapier, damit die Schiffe länger schwimmen. Manchmal steht auf dem Papier, was Menschen ziehen lassen wollen, manchmal auch, was sie sich für die gemeinsame Zukunft wünschen. Vielleicht wird vorab reihum vorgelesen, und manchmal eben auch nicht. Ein Team hat hinterher gemeinsam am Elbstrand gepicknickt, ein anderes hat ein Lagerfeuer gemacht. Der Ausgestaltung dieses Rituals sind wie bei allen Ritualen kaum Grenzen gesetzt.

Ich möchte mit diesen Blitzlichtern auf Rituale dazu einladen, einmal selbst in Beratung und Mediation bewusst symbolisch den Neubeginn zu gestalten und freue mich in den Kommentaren über weitere Anregungen für meine Schatzkiste der Übergangsrituale. Welche Rituale schätzen Sie besonders?

Letzte Änderung am 16. Februar 2022
Silke Freitag

… beschäftigt sich als freiberufliche Mediatorin seit über zwanzig Jahren leidenschaftlich mit Konflikten in und zwischen Organisationen sowie im öffentlichen Bereich. Sie vermittelt Handwerk und Kunst der Mediation an der Universität Hamburg sowie der KURVE Wustrow. Sie liebt bei alldem die Balance aus Bewährtem und Neuem. Gemeinsam mit geschätzten Kolleg*innen erprobt sie in Mediation und Ausbildung Neues, verwirft manches und entwickelt anderes weiter. Mit Freude reflektiert sie diese Erfahrungen - sehr gern auch schreibend.

2 Kommentare

  • Kommentar-Link Stefanie Krüger 15. März 2022 gepostet von Stefanie Krüger

    Liebe Silke,
    was für ein feiner und inspirierender Beitrag! Ich freue mich sehr, dass du dieses Thema einmal aufgegriffen hast. Es ist immer das eine, etwas mit dem Geist zu verstehen und etwas anderes, es auch rein körperlich zu spüren und umzusetzen.

    Hier vielleicht noch ein anderes Ritual, welches nützlich sein könnte:
    Die Konfliktparteien bekommen ein rotes Wollknäuel und können sich mit dem Faden langsam eingewickeln (oder einwickeln lassen). Der rote Faden kann locker überall entlang geführt werden (um Finger, Füße, Arme, Beine, Kopf...). Er dient symbolisch als spürbare Begrenzunge und/oder das Hindernde. Symbolisch für all das, was (fest)gehalten wird und einschränkt. Alle können sich bewegen, sind aber nicht wirklich frei. Man kann dies auf diese Weise noch einmal bewusst wahrnehmen und spüren.
    Danach gibt man den Konfliktparteien eine kleine Schere in die Hand und sie können sich selber befreien (oder sich befreien lassen).

    Ich habe das auch schon mit Zweierteams gemacht und kann mir vorstellen, dass dies auch mit Gruppen geht. Es wäre z.B. denkbar, dass sie sich im Kreis aufstellen und jemand sie miteinander verbindet im Sinne von an Händen, Fingern und Füßen. In der Mitte ergibt sich somit auch für alle plötzlich sichtbar ein wunderbares Bild der Verwicklungen. Danach bekommen sie dann die Gelegenheit, diese konflikthaften Verflechtungen durchzutrennen. Musik und ein Freudentanz danach können für Erleichterung sorgen, das Spüren der eigenen Befreiung und der neuen Beweglichkeit.

  • Kommentar-Link Silke Freitag 15. März 2022 gepostet von Silke Freitag

    Liebe Stefanie,

    hab Dank für das Teilen eines weiteren Rituals, um auch physisch aus Verstrickungen in die Beweglichkeit zu kommen!

    Herzliche Grüße
    Silke

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