04. September 2017

Zum gesellschaftlichen Bedarf an Mediation: Wieviel Mediatoren braucht das Land?

geschrieben von

Als Mediator und Ausbilder kenne ich die Problematik: Wie kommt man eigentlich an Konfliktfälle? Große Mediationsverbände fordern für die Anerkennung von Mediatoren in ihren Standards vier Mediationen. Wer sich ab dem 1. September 2017 "zertifizierte/r Mediator/in" nennen will, ist verpflichtet, bis spätestens zwei Jahre nach dem Zertifizierungszeitpunkt insgesamt fünf Fälle mediiert und in Supervision reflektiert zu haben. Für frisch gebackene MediatorInnen stellt diese scheinbar kleine Hürde einen realen Stolperstein dar, an dem nicht wenige scheitern.

Es scheint paradox zu sein: Kaum jemand unter meinen Kollegen, Bekannten oder Freunden, die sich nicht gerade mit dem einen oder anderen Konflikt herumschlagen. Gemessen an diesem Bedarf erscheint die Nachfrage nach einer neutralen Konfliktvermittlung durch eine unabhängige dritte Person gering. Ist der Bedarf in Unternehmen, NGOS, im öffentlichen Dienst, in Schulen, Kindergärten, Vereinen und bei Privatpersonen bereits gedeckt? Ich denke nein. Doch bis sich der Bedarf an Konfliktvermittlung in einer entsprechenden Nachfrage an Mediation widerspiegelt, bedarf es wohl noch einiger Überzeugungsarbeit. Es erfordert einen Wandel im Denken, der Konflikte als Chance für Innovation und Entwicklung begreift.

Seit der ersten Pionierphase in den 80ern und 90ern, ist zu beobachten, dass die Mediation schrittweise ihren Weg in die Gesellschaft findet. Einige große Unternehmen wie SAP, Lufthansa Technik und weitere sind hier Vorreiter und haben oftmals bereits interne Konfliktmanagementsysteme etabliert. In vielen anderen Organisationen ist Mediation mittlerweile ein Begriff, wenngleich noch keine Selbstverständlichkeit. Ähnlich wie beim Coaching in der Wirtschaft oder bei den Beratungslehrern in den Schulen erwarte ich, dass sich dieser Wandel im "Denken" der Gesellschaft fortsetzen wird.

Die vergleichsweise geringe Nachfrage führt dazu, dass ausgebildete Mediatoren in Ermangelung auskömmlicher Aufträge anderswo Karriere machen - in Wirtschaft und Behörde genauso wie im sozialen und im Bildungsbereich. Sie tragen dann als Konfliktexperten mit ihrem Wissen um Konflikte zum Kulturwandel in Organisationen bei. Ich bin optimistisch, dass die Mediation in 25 Jahren als selbstverständliches Werkzeug der Personalführung etabliert sein wird.

Für frisch gebackenene Mediatoren heißt es gleichwohl: Es wird wohl weiterhin ein steiniger Weg bleiben, erste Praxiserfahrungen zu sammeln. So heißt es nach wie vor: Ärmel hochkrempeln!

Letzte Änderung am 15. September 2017
Sascha Kilburg

… ist mit Kilburg Consulting selbstständig und als Coach, Teamentwickler und Mediator unterwegs. Menschen im Dialog zu begleiten, denen inner- und zwischenmenschlichen Herausforderungen bei der Bewältigung von beruflichen Aufgaben im Wege stehen, spiegelt sein Selbstverständnis wider. Er mag es, seine Arbeit einem kritischen Blick zu unterwerfen, Neues zu erlernen und Erlerntes zu teilen. Als Autor von Fachartikeln und E-Learning-Trainings beschäftigt er sich mit den Themen Kommunikation, Beratung und Mediation. In seinen 10 Jahren als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Hamburg lag sein Forschungsschwerpunkt auf der Vermittlung von Kommunikation und Beratung - digital wie analog.

1 Kommentar

  • Kommentar-Link Friedderike Matheis 03. April 2018 gepostet von Friedderike Matheis

    Lieber Sascha Kilburg,

    das Problem lautet leider auch bei ausgebildeten Mediatoren immer wieder. "Es gibt keinen Markt fürMediatorInnen!" Im Brustton der Überzeugung wurde mir das von Anwalts-MediatorInnen immer wieder mitgeteilt, als ich mit meiner Kollegin Sophie Löffler (Familien-mediatorin und Marketing-Expertin)zusammen den Workshop " Fälle fallen nicht vom Himmel - Mediation braucht Marketing" anbot (wie "Sauerbier"). Wir hatten dazu ungefähr 140 Mediatoren eingeladen, ich kümmertte mich als Anwalts-Mediatorin um die AnwältInnen, Sofie Löffler um die Nicht-Anwalts-Mediatorinnen. Von den 140 Eingeladenen sagten 4 zu, 2 kamen dann tatsächlich zum Workshop. Telefonisches Nachhaken erbrachte das Ergebnis: Resignation und Desinteresse der MediatorInnen daran, selbst zu schauen, wie sie für ihr Mediationsangebot gezielte und passende Marketingmaßnahmen ergreifen könnten. Das hat uns ziemlich ernüchtert. Ich bin seit 2000 Mediatorin und habe aus Anlass von Rechtskonflikten über die Jahre eine ganze Reihe an Mediationen ausgeübt, die meißten im Familienrecht. Tatsächlich ist inzwischen in der Gesellschaft das Wort "Mediation" inzwischen bekannt, aber was wirklich dahinter steckt keineswegs. Da ist immer noch sehr viel Überzeugungsarbeit, sehr viel Marketing, nötig!

Schreiben Sie einen Kommentar

Achten Sie darauf, die erforderlichen Informationen einzugeben (mit Stern * gekennzeichnet). Ihre Email-Adresse wird nicht veröffentlicht. HTML-Code ist nicht erlaubt.