Die Auftragsklärung gestaltet sich anders, wenn es keine klar definierte Leitung gibt, die zwischen mehreren Konfliktthemen entscheiden oder mit der Gruppe mitentscheiden kann. Besonders deutlich wird in solchen Fällen, wie unterschiedlich Mitglieder die Gruppensituation und die Geschehnisse wahrnehmen. Zwischen „hier läuft alles gut, ich weiß gar nicht, wofür wir eine Konfliktmoderation brauchen“ bis hin zu „hier ist die Luft so dick, ich werde wahrscheinlich die Gruppe verlassen“ ist manchmal alles dabei. Natürlich ist das nicht ungewöhnlich an sich, aber als Beraterin habe ich es als eine größere Herausforderung erlebt, in solchen Fällen die gesamte Gruppe „mitzunehmen“ und in die Auftragsdefinition einzubinden.
Vor allem am Anfang eines Prozesses wirkt es auf mich so, als würden sich Mitglieder einer Gruppe mit flachen Hierarchien stärker als Individuen wahrnehmen als in Gruppen mit klaren Leitungsstrukturen. In letzteren erlebe ich ein höheres Maß an Bereitschaft zum Konsens, man fügt sich scheinbar schneller der Mehrheit oder der Leitung.
Die Neutralität und Allparteilichkeit des Beraters ist in solchen Situationen besonders gefragt, damit man nicht schnell die Lage „durchschaut“ und das Priorisierungs-Ruder in die Hand nimmt.
Wenn es gelingt, dass sich die Gruppenmitglieder zuhören, wahrnehmen und auf Augenhöhe begegnen, können viele gleichgestellte Probleme oder Konflikte von der Gruppe parallel gelöst werden. Ich habe aber auch ein Beispiel erlebt, wo die Gruppe den größten Teil der Mediation verwendet hat, um die wesentlichsten Konflikt-Themen zu benennen und Probleme zu priorisieren. Auch das kann ein Ergebnis einer Moderation sein, wenn auch gewissermaßen weniger befriedigend.
Methodisch war es bisher am wirkungsvollsten die nichthierarchische Struktur der Gruppe zu spiegeln. Mit anderen Worten an die Gruppe zurück zugegeben, wie die Struktur wirkt und funktioniert, um dabei Chancen und Risiken zu verdeutlichen und bewusst zu machen. Wenn dann die Gruppe die Entscheidungsgewalt gemeinsam annimmt und vereinbart, welches Thema am wichtigsten ist, welcher Konflikt vorrangig ist – oder für so viele so relevant, dass die Mitglieder sich als erstes darüber auseinandersetzen möchten ist der Wille der Einzelnen aktiv mitzugehen spürbar stärker, als in manche Teams mit definierte Entscheidungsträger. So wird dann auch die Lösungsphase besonders beflügelt, wenn sich die Gruppenmitglieder gleichmäßiger in der Suche nach Lösungswegen und Ideen für die Zusammenarbeit einsetzen, und sie empfinden nachher eine besonders große Freude und Zuversicht mit dem Erarbeiteten.
Um auf die Frage im Überschrift zurückzukommen – Fluch oder Segen? Ich würde sagen: sowohl als auch, und zwar für alle im Prozess Beteiligten: Schwergängig in der Anfangsphase, aber umso kraftvoller, wenn dann alle mitgehen. Mich würde sehr interessieren, welche Erfahrungen Sie gemacht haben!