Der Fluch des Erfolgs: Das Dilemma der sozial erwünschten Teilnahme an einer Mediation

27. September 2017, geschrieben von 
Der Fluch des Erfolgs: Das Dilemma der sozial erwünschten Teilnahme an einer Mediation S. Hofschlaeger / pixelio / www.pixelio.de

Die wachsende Bekanntheit und Akzeptanz von Mediation können – so scheint es mir mit Blick auf einige meiner Auftragsklärungen der letzten Zeit – für uns Mediatoren paradoxerweise neue Hürden bereithalten. Mediation hat, insbesondere in Unternehmen, mittlerweile einen derart guten Ruf, dass es bisweilen für die Parteien in einem Konflikt nicht mehr opportun erscheint, ehrlich zu sagen, wenn sie nicht zu einer Mediation bereit sind oder es nicht für das geeignete Verfahren halten.

Eine solche Ablehnung ist aus meiner Sicht grundsätzlich legitim. Doch die Parteien befürchten, als die Person abgestempelt zu werden, „die ja nicht einmal in die Mediation wollte“ oder „die einen einvernehmlichen Klärungsversuch bewusst verweigerte“. Es droht die Etikettierung als unkooperativ und streitfixiert. Schnell steht der unausgesprochene Vorwurf im Raum, schuld zu sein, dass es nicht zu einer konstruktiven Lösungssuche kommt. Eine Ablehnung der Teilnahme an einer Mediation – so vermuten die Parteien – könnte potentiell ihre Position im weiteren Konfliktverlauf schwächen.

Ein klassischer Fall von sozialer Erwünschtheit wie wir sie aus der Befragungsforschung kennen: Befragte geben bevorzugt Antworten, von denen sie glauben, sie träfen eher auf soziale Zustimmung. Sie befürchten soziale Ablehnung, wenn sie die wahre Antwort geben.

Mir ist wichtig, dass Parteien ihrer Ablehnung des Verfahrens Ausdruck geben können – sonst gäbe es kein echtes Entscheidungsmoment. Mir ist es, durchaus eigennützig, auch deshalb wichtig, damit ich nicht vergeblich zu mediieren beginne. Ich mediiere gerne. Ich mediiere gerne gut. Und dafür brauchte es gewisse Voraussetzungen, die ich nicht selbst herstellen kann, sondern die die Parteien bereit stellen – oder eben nicht. Dazu gehört die Entscheidung zur Teilnahme an einer Mediation.

"Ich finde Mediation allgemein eine gute Sache. Natürlich bin ich zu Gesprächen immer und grundsätzlich bereit. Hier, in unserem Fall - also, ich weiß nicht... Sie müssen wissen, ich traue Herrn Y schon lange nicht mehr über den Weg. Im Grunde ist er für mich gestorben. Er lügt. Er betrügt. Er wird auch jetzt nicht sagen, was er wirklich will. Ich weiß genau, dass er sich nicht einigen will. Aber das wird er niemals zugeben..." So oder so ähnlich kann es in vertraulichen Vorgesprächen zur Auftragsklärung klingen. Und ganz allmählich entsteht bei mir der Eindruck, dass die Parteien die Teilnahme an der Mediation am liebsten ablehnen würden, es aus sozialer Erwünschtheit bzw. strategischen Gründen aber nicht tun werden. Nicht selten wählen die Parteien dann einen "Umweg", indem sie, wie in den einführenden Zitaten, der jeweils anderen Seite unterstellen, nicht wirklich mediationsbereit oder -fähig zu sein.

Dann werde ich hellhörig. Ich spreche meinen Eindruck deutlich an. Wird er bejaht, steht für mich ein schwieriger Abwägungsprozess an: Beginne ich die Mediation im Wissen um diese (rein strategische) Zustimmung der Partei und hoffe darauf, dass die mir bekannten guten Wirkungen der Mediation im weiteren Verlauf schon noch zu einer „echten“ Motivation und Mitwirkung der Partei führen? Oder scheidet eine Mediation für mich aus – auch weil ich mir im Nachhinein nicht selbst vorwerfen will, dass ich ein eventuelles Scheitern der Mediation doch hätte kommen sehen können oder gar müssen? Und wie könnte ein Weg aus diesem Auftrag aussehen, der nicht das befürchtete „Schwarze-Peter-Spiel“ der Schuldzuweisung betreibt?

Bisher habe ich mich in diesen seltenen Fällen nach reiflicher Überlegung dazu entschieden, den Auftrag zur Mediation niederzulegen – und die Begründung dafür auf meine Verantwortung als Mediatorin abzustellen. Laut § 2 (5) des Mediationsgesetzes kann ich eine Mediation beenden, wenn ich der Auffassung bin, dass eine Einigung der Parteien nicht zu erwarten ist; in seltenen Fällen kann ich eben bereits im Rahmen der vertieften Auftragsklärung zu dieser Einschätzung gelangen. Ich habe die gute Erfahrung gemacht, dass diese ablehnende Rückmeldung von den Beteiligten zwar nicht als einfach, aber immer auch als wertvoll und klärend mit Blick auf ihr weiteres Vorgehen empfunden wird.

Zu Fragen dieser Art – die letztlich auch die Freiwilligkeit der Teilnahme berühren – gibt es sehr unterschiedliche Perspektiven in der Mediationslandschaft. Mir ist bewusst, dass mein Umgang damit besonders vorsichtig anmuten muss; er fußt auf der Überzeugung, dass Mediation nicht grundsätzlich das richtige Verfahren in einem Konflikt ist und dass die Sicht der Parteien in die Verfahrenswahl einfließen sollte.

Letztlich wünsche ich mir, dass Mediation als ein nützliches Verfahren im Konflikt geschätzt wird. Und in dem zugleich die (inneren oder äußeren) Hindernisse für eine Mediation sagbar und akzeptierbar bleiben.

Letzte Änderung am 28. September 2017
Kirsten Schroeter

… hat es beruflich mit Konflikten in Organisationen und Unternehmen zu tun, aus Überzeugung nicht auf eine Branche spezialisiert, sondern auf die Qualität der fachlichen und zwischenmenschlichen Zusammenarbeit und der Kommunikation. Sie bildet Menschen in Konfliktberatung und Mediation aus. Und mischt bei der Weiterentwicklung des Berufs „Mediatorin“ mit – vernetzend (in der Regionalgruppe Hamburg im Bundesverband Mediation) und schreiberisch (Mitherausgeberin der „Interdisziplinären Studien zu Mediation und Konfliktmanagement“ bei Nomos sowie Mitherausgeberin der „Viadrina Schriftenreihe zu Mediation und Konfliktmanagement“ bei Metzner).

2 Kommentare

  • Kommentar-Link Stefan 08. Oktober 2019 gepostet von Stefan

    Das ist ein sehr guter Beitrag und zeigt, dass Sie verantwortungsvoll mit Ihrem Beruf umgehen.
    Für wichtig halte ich die hier beschriebene Problematik für gerichtlich angeordnete Familienmediation.
    Die soziale erwünschte Teilnahme und die Angst als unkooperativ zu erscheinen treiben Menschen in die unfreiwillige, freiwillige Zustimmung.
    Brisant wird die Tatsache bei Gewalttätern die dann mittels der Mediation ihre Macht weiter ausüben können. Dazu kommt die Tatsache, dass es überspitzt formuliert mehr Familienmediatoren gibt wie Mediationswillige Krisenpaare. Daher findet der Gewalttäter immer einen Mediator der bereit ist eine Mediation anzubieten.
    Der gute Ruf der Mediation hängt daher meiner Meinung nach von der Fachrichtung ab (Wirtschaft, Familien, ...).

  • Kommentar-Link Kirsten Schroeter 15. Oktober 2019 gepostet von Kirsten Schroeter

    Vielen Dank für Ihren Kommentar und Ihre Rückmeldung, Stefan! Aus meiner Sicht machen Sie ganz zu Recht darauf aufmerksam, dass das Verständnis von und der Blick auf Freiwilligkeit in verschiedenen Konfliktfeldern jeweils eigene Besonderheiten und Herausforderungen birgt. Gerade im Bereich der Familienmediation - ein Feld, in dem ich nicht spezifisch bewandert bin - gibt es meines Wissens schon länger eine recht differenzierte Debatte über die (Un-)Möglichkeit von "verordneten" Mediationen. Das wäre sicherlich mindestens einen eigenen Blog-Beitrag wert!

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