Eine solche Ablehnung ist aus meiner Sicht grundsätzlich legitim. Doch die Parteien befürchten, als die Person abgestempelt zu werden, „die ja nicht einmal in die Mediation wollte“ oder „die einen einvernehmlichen Klärungsversuch bewusst verweigerte“. Es droht die Etikettierung als unkooperativ und streitfixiert. Schnell steht der unausgesprochene Vorwurf im Raum, schuld zu sein, dass es nicht zu einer konstruktiven Lösungssuche kommt. Eine Ablehnung der Teilnahme an einer Mediation – so vermuten die Parteien – könnte potentiell ihre Position im weiteren Konfliktverlauf schwächen.
Ein klassischer Fall von sozialer Erwünschtheit wie wir sie aus der Befragungsforschung kennen: Befragte geben bevorzugt Antworten, von denen sie glauben, sie träfen eher auf soziale Zustimmung. Sie befürchten soziale Ablehnung, wenn sie die wahre Antwort geben.
Mir ist wichtig, dass Parteien ihrer Ablehnung des Verfahrens Ausdruck geben können – sonst gäbe es kein echtes Entscheidungsmoment. Mir ist es, durchaus eigennützig, auch deshalb wichtig, damit ich nicht vergeblich zu mediieren beginne. Ich mediiere gerne. Ich mediiere gerne gut. Und dafür brauchte es gewisse Voraussetzungen, die ich nicht selbst herstellen kann, sondern die die Parteien bereit stellen – oder eben nicht. Dazu gehört die Entscheidung zur Teilnahme an einer Mediation.
"Ich finde Mediation allgemein eine gute Sache. Natürlich bin ich zu Gesprächen immer und grundsätzlich bereit. Hier, in unserem Fall - also, ich weiß nicht... Sie müssen wissen, ich traue Herrn Y schon lange nicht mehr über den Weg. Im Grunde ist er für mich gestorben. Er lügt. Er betrügt. Er wird auch jetzt nicht sagen, was er wirklich will. Ich weiß genau, dass er sich nicht einigen will. Aber das wird er niemals zugeben..." So oder so ähnlich kann es in vertraulichen Vorgesprächen zur Auftragsklärung klingen. Und ganz allmählich entsteht bei mir der Eindruck, dass die Parteien die Teilnahme an der Mediation am liebsten ablehnen würden, es aus sozialer Erwünschtheit bzw. strategischen Gründen aber nicht tun werden. Nicht selten wählen die Parteien dann einen "Umweg", indem sie, wie in den einführenden Zitaten, der jeweils anderen Seite unterstellen, nicht wirklich mediationsbereit oder -fähig zu sein.
Dann werde ich hellhörig. Ich spreche meinen Eindruck deutlich an. Wird er bejaht, steht für mich ein schwieriger Abwägungsprozess an: Beginne ich die Mediation im Wissen um diese (rein strategische) Zustimmung der Partei und hoffe darauf, dass die mir bekannten guten Wirkungen der Mediation im weiteren Verlauf schon noch zu einer „echten“ Motivation und Mitwirkung der Partei führen? Oder scheidet eine Mediation für mich aus – auch weil ich mir im Nachhinein nicht selbst vorwerfen will, dass ich ein eventuelles Scheitern der Mediation doch hätte kommen sehen können oder gar müssen? Und wie könnte ein Weg aus diesem Auftrag aussehen, der nicht das befürchtete „Schwarze-Peter-Spiel“ der Schuldzuweisung betreibt?
Bisher habe ich mich in diesen seltenen Fällen nach reiflicher Überlegung dazu entschieden, den Auftrag zur Mediation niederzulegen – und die Begründung dafür auf meine Verantwortung als Mediatorin abzustellen. Laut § 2 (5) des Mediationsgesetzes kann ich eine Mediation beenden, wenn ich der Auffassung bin, dass eine Einigung der Parteien nicht zu erwarten ist; in seltenen Fällen kann ich eben bereits im Rahmen der vertieften Auftragsklärung zu dieser Einschätzung gelangen. Ich habe die gute Erfahrung gemacht, dass diese ablehnende Rückmeldung von den Beteiligten zwar nicht als einfach, aber immer auch als wertvoll und klärend mit Blick auf ihr weiteres Vorgehen empfunden wird.
Zu Fragen dieser Art – die letztlich auch die Freiwilligkeit der Teilnahme berühren – gibt es sehr unterschiedliche Perspektiven in der Mediationslandschaft. Mir ist bewusst, dass mein Umgang damit besonders vorsichtig anmuten muss; er fußt auf der Überzeugung, dass Mediation nicht grundsätzlich das richtige Verfahren in einem Konflikt ist und dass die Sicht der Parteien in die Verfahrenswahl einfließen sollte.
Letztlich wünsche ich mir, dass Mediation als ein nützliches Verfahren im Konflikt geschätzt wird. Und in dem zugleich die (inneren oder äußeren) Hindernisse für eine Mediation sagbar und akzeptierbar bleiben.