Denn möglicherweise gilt es, Möbel aus dem Raum zu verfrachten, hilfreiche Menschen vor Ort zu finden, die wissen, in welcher entlegenen Ecke das einzige Flipchart des Hauses sich wohl verstecken mag, dafür zu sorgen, dass trotz völliger Einsichtigkeit des Sitzungsraums doch noch so etwas wie vertrauliche Atmosphäre entstehen kann… und innerlich Frieden zu schließen mit dem, wie der Ort ist, auch wenn er nach meinem Maßstäben keinen schönen Rahmen für die Mediation bietet. Die Parteien sind mit den Räumen immerhin vertraut und wissen, was sie erwartet – je nachdem, wie sie selbst die Räume empfinden, können sie sich zumindest vorab damit arrangieren.
Gibt es hingegen Gestaltungsspielraum bei der Ortswahl, dann kann ich den Parteien entweder meine eigenen Räumlichkeiten anbieten oder gemeinsam mit der Auftraggeberin überlegen, welcher andere Ort den besten Rahmen für die anstehende Konfliktbearbeitung bietet. In den eigenen Räumlichkeiten genieße ich den Heimvorteil: Ich kenne mich aus, habe alles, was ich für gutes Arbeiten benötige, zur Hand, kann die Parteien begrüßen und nicht zuletzt auch die Rolle als Gastgeberin nutzen, um für einen guten Start in die Mediation zu sorgen.
Geht es um anzumietende Räume, lohnt es sich aus meiner Erfahrung, selbst etliche Optionen zu kennen, um den Nachteil von „Auswärtsspielen“ für mich als Mediatorin zu minimieren. Denn auch das hochpreisigste Seminarhotel muss nicht zwingend, wie ich selbst erlebt habe, einen gut ausgestatteten Moderationskoffer oder angemessene Sitzmöglichkeiten oder ein kundenfreundliches Ambiente aufweisen. Die Parteien werden in aller Regel einen zweifachen Ankommensprozess erleben und sich erst einmal örtlich und räumlich orientieren, bevor sie gut im Mediationsverfahren landen können: Haben sie Platz, Bewegungsspielraum und Ausblick? Wie mutet der Ort ansonsten an?
Dass der Ort unsere Mediationsarbeit erschweren oder befördern kann, hat mir neulich ein Kollege aus Dänemark eindrücklich auf einer Konferenz vor Augen geführt: Søren Viemose ist ein sehr erfahrener Vermittler in Arbeitskonflikten, insbesondere auch in Tarifstreitigkeiten. Seine Räumlichkeiten befinden sich in einem umgebauten, ehemaligen Badehotel an der dänischen Ostseeküste – an sich schon ein Ort, der Ruhe, Weite und Konzentration auf das Wesentliche ausstrahlt. Doch damit nicht genug: Im Garten befindet sich ein Baumhaus, das er in bestimmten Momenten in schwierigen Verhandlungen nutzt (wer weitere bildliche Eindrücke bekommen möchte, schaut hier nach). Er schildert, was passiert, wenn er in einer Blockadesituation den Mediationsparteien vorschlägt, den Ort zu wechseln, um noch einmal Bewegung in die Verhandlung zu bringen: Die Parteien betreten das Baumhaus, die Stimmung ändert sich – viele erinnern sich an ihre Kindheit, erzählen von Momenten, in denen sie in Bäumen kletterten und welche Abenteuer sie dort erleben… ein eindrücklicher Beleg für die wundersamen Wirkungen eines Ortes für Konfliktklärungen.
Und ich? Ich wünsche mir seitdem ein Mediations-Baumhaus!