Mit dieser Herausforderung war auch die von der Bundesregierung beauftragte und 2017 veröffentlichte Evaluation über die Auswirkungen des Mediationsgesetzes auf die Entwicklung der Mediation und über die Situation der Aus- und Fortbildung von Mediator*innen in Deutschland konfrontiert. Über eine Befragung der in den Mediationsverbänden organisierten Mediator*innen wurde versucht, Genaueres dazu zu erfahren – mit dem für viele sehr ernüchternden, hier bewusst verkürzten und zugespitzten Fazit: „Nicht viel los im Feld der Mediation“ (im Originalton ist mehrfach von „Stagnation auf niedrigem Niveau" die Rede, s. S. 47 und S. 144 des Evaluationsberichts). Dies stand im Einklang mit dem häufig geäußerten, vermeintlichen Befund (der jedoch trotz seiner Verbreitung keine solide empirische Grundlage hat), dass es sich bei Mediation vor allem um einen Ausbildungsmarkt handele.
Ist eine Mediationsausbildung also eine Fehlinvestition, die sich jedenfalls mit Blick auf den möglichen Ertrag späterer Mediationstätigkeit in der Regel nicht rechnet? Finanzieren sich Mediationsausbilder*innen im Grunde vor allem durch die Weiterbildungsgebühren ihrer Teilnehmenden und vermitteln (wissentlich und gewissenlos) eine brotlose Kunst?
In der Ausgabe 2-2020 der Zeitschrift Konfliktmanagement (ZKM) stellen wir – Ulla Gläßer, Lin Adrian und ich – eine deutsch-dänische Studie über die Erfahrungen von Absolvent*innen zweier Mediations-Studiengänge vor. (Der Beitrag steht auch zum kostenlosen Download zur Verfügung.)
Wir werfen mehr Licht ins Dunkel der tatsächlichen Mediationspraxis – und plädieren für einen differenzierteren Blick auf die Wirkungen einer Mediationsausbildung, bewusst auch jenseits der wirtschaftlichen Tätigkeit. Als Ausbilderinnen kennen wir zahllose, oft sehr anrührende Berichte darüber, wie Inhalte und Erleben der Ausbildung im beruflichen und privaten Alltag der Ausgebildeten Wirkung entfalten – und teilweise sogar Leben verändern. Zugleich stehen wir mit dieser intensiven Verbundenheit zum Feld natürlich im Risiko, die Wirkung von Ausbildungen zu überschätzen.
Dies war für uns ein Grund mehr, unser „gefühltes Wissen“ einer empirischen Probe zu unterziehen. Gemeinsam mit unserer dänischen Kollegin Prof. Dr. Lin Adrian, die an der Universität Kopenhagen einen Studiengang zu Mediation verantwortet, der dem von Ulla Gläßer und mir geleiteten Studiengang Mediation und Konfliktmanagement an der Europa-Universität Viadrina in vieler Hinsicht gleicht, führten wir daher eine Befragung aller bisherigen Absolvent*innen (insgesamt rund 600 Alumni) durch.
Wir beschreiben die Wirkungen des Mediationsstudiums im beruflichen und persönlichen Umfeld sowie auch im gesellschaftlichen Bereich. Im Einzelnen zeigen wir zunächst die hohe Relevanz der Studieninhalte für den Arbeitsalltag der Absolvent*innen; dabei beschreiben wir sowohl die vielfältigen Anwendungen der erlernten Kompetenzen über das eigentliche Mediieren hinaus als auch die Effekte für das persönliche Wohlbefinden und die Atmosphäre am Arbeitsplatz. Insbesondere wird von den Befragten der deutliche Mehrwert der Ausbildung für die bessere Wahrnehmung der eigenen Führungsrolle betont.
Bei den wahrgenommenen Wirkungen des Studiums im Bereich des Privatlebens spielt insbesondere der Beitrag zu einem besseren Umgang mit eigenen Konflikten eine wichtige Rolle.
Die Wirkungen des Studiums gehen über den unmittelbar persönlichen und beruflichen Bereich hinaus. Ausgebildete Mediator*innen prägen die Mediationslandschaft mit und handeln als „agents of change“: Sie sind zu einem bedeutsamen Anteil ehrenamtlich als Mediator*in tätig. Sie halten Vorträge zu Mediation und/oder Konfliktmanagement und veröffentlichen in diesem Themenbereich. Sie tragen dazu bei, dass in unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten Wissen über Mediation vermittelt wird und sie wirken daran mit, dass Mediation oder andere Formen des Konfliktmanagements eingeführt bzw. gefördert werden. All diese Befunde finden sich in erstaunlich vergleichbarer Weise auch in der dänischen Stichprobe.
Die Studie zeigt eindrucksvoll, dass Mediationsausbildungen nicht nur auf die Tätigkeit als (freiberufliche*r) Mediator*in vorbereiten, sondern auf vielen Ebenen Früchte tragen. Die vermittelte verständnis- und interessenorientierte Haltung und die Überzeugung, dass sich ein mediativer Umgang mit Konflikten und Entscheidungssituationen lohnt, haben das Potential, die Streitkultur einer Familie, Organisation und letztlich sogar einer Gesellschaft positiv zu verändern. Mediationsausbildungen tun aus unserer Sicht sehr gut daran, all diese Wirkebenen – die beruflichen, die privaten ebenso wie die gesellschaftspolitischen – explizit zu adressieren.
Hinweis: Dies ist die gekürzte Fassung eines Blogbeitrags, der - in gemeinsamer Autorinnenschaft mit Ulla Gläßer - ursprünglich im März 2020 auf dem ZKM-Blog veröffentlicht wurde; mit herzlichem Dank an Dr. Karen Engler, Chefredakteurin der ZKM, und an meine Co-Autorin Ulla Gläßer für die Genehmigung zur Verwendung auch in diesem Blog.
Einen weiteren Artikel über die Auswertung insbesondere der qualitativen Aussagen der Absolvent*innen über die Wirkungen ihres Mediationsstudiums finden Sie (in englischer Sprache) hier. Der Beitrag kann dort als pdf-Datei heruntergeladen werden.