Das Vier-Ohren-Modell in der Mediation: Auf der Spur der Zwischen­töne

20. Juli 2017, geschrieben von 

Um ein zweites Mal auf Mettes Beitrag über die „nützlichen Missverständnisse zurückzukommen: Das zweite Modell, welches mir hier direkt in den Sinn kam, war natürlich das Kommunikationsquadrat von Friedemann Schulz von Thun - auch bekannt als Vier-Ohren-Modell. Es ist ein wunderbares Denkwerkzeug für die 'detektivische' Kommunikationsarbeit und hilft, Missverständnissen auf die Spur zu kommen. Jede Aussage kann ich mit vier Ohren empfangen und verstehen. Je nachdem, wie ich sie verstehe, werde ich unterschiedlich reagieren.

Herr Meyer platzt gleich zu Beginn einer Mediation heraus: „Themen sammeln? Wozu das denn jetzt? Ich hatte Ihnen doch schon vorab eine Themenliste geschickt. Darüber müssen wir heute sprechen!“

Wie kann ich als Mediator die Äußerung von Herrn Meyer nun verstehen? 

  1. Ganz sachlich (nach dem Vier-Ohren-Modell auf dem blauen Sach-Ohr), dann kommt bei mir an: „Der Zweck der Themensammlung ist unklar, da es bereits eine Themenliste gibt, die vorab an mich geschickt wurde.“
  2. Als Selbstkundgabe (auf dem grünen Selbstkundgabe-Ohr), dann höre ich: „Ich bin ungeduldig und halte den Schritt für überflüssig. Vor allem sind mir meine Themen von der Liste wichtig!“
  3. Als Beziehungsbotschaft (auf dem gelben Beziehungsohr), dann verstehe ich: „Ich kann hier Forderungen stellen (Themenliste) und Sie sollten diesen nachkommen.
  4. Als Appell (auf dem roten Appell-Ohr), so höre ich: „Nehmen Sie mich mit meinen Themen ernst! Lassen Sie uns zügig – mit meiner Liste – weiter machen.

Je nachdem, auf welchen Ohr ich Herrn Meyer verstehe, werde ich ruhig und sachlich den Sinn erklären, den ich in einer gemeinsamen Themensammlung sehe, oder besonders offen und sensibel auf seine Befindlichkeiten eingehen oder mich von ihm angegriffen fühlen und mich verteidigen oder seinen impliziten Vorschlag, mit seiner Themenliste weiter zu arbeiten, zurückweisen. Das Vier-Ohren-Modell hilft mir, alle vier Botschaften zu hören, und ermöglicht es, gezielt und bewusst auf Botschaften seiner Äußerung zu reagieren.

Herrn Meyer erklärte ich den Sinn der Themensammlung und des Vorgehens. Obwohl er sich darauf einließ, äußerte er im weiteren Verlauf wiederholt ungeduldig Kritik, an dem aus seiner Sicht schleppenden Verlauf der Mediation. Nach einer Klärung wurde seine Sorge deutlich, dass seine Themen keine Berücksichtigung  finden könnten. Das Vier-Ohren-Modell half mir, seine Ungeduld anzusprechen.

Letzte Änderung am 01. November 2017
Sascha Kilburg

… ist mit Kilburg Consulting selbstständig und als Coach, Teamentwickler und Mediator unterwegs. Menschen im Dialog zu begleiten, denen inner- und zwischenmenschlichen Herausforderungen bei der Bewältigung von beruflichen Aufgaben im Wege stehen, spiegelt sein Selbstverständnis wider. Er mag es, seine Arbeit einem kritischen Blick zu unterwerfen, Neues zu erlernen und Erlerntes zu teilen. Als Autor von Fachartikeln und E-Learning-Trainings beschäftigt er sich mit den Themen Kommunikation, Beratung und Mediation. In seinen 10 Jahren als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Hamburg lag sein Forschungsschwerpunkt auf der Vermittlung von Kommunikation und Beratung - digital wie analog.

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