Die genannten Unterschiede zwischen Konfliktbeteiligten können einerseits dazu führen, dass sie in ihrem Alltag unterschiedlich privilegiert sind, wobei sie sich oftmals dieser Privilegien nicht bewusst sind. Andererseits können Konfliktbeteiligte vielfältige Diskriminierungserfahrungen mitbringen: Erlittene Anfeindungen beispielsweise, weil sie gleichgeschlechtlich lieben oder sich nicht klar dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zuordnen. Andere haben vielleicht wiederholt die Erfahrung gemacht, dass ihnen wegen ihres Aussehens Straftaten unterstellt werden oder sie hunderte Male die Frage beantworten mussten, wo sie denn vermeintlich herkommen, und ihre Antwort „Aus Hamburg!“ nicht als hinreichend akzeptiert wurde. Wiederum andere leiden vielleicht darunter, dass sie wegen ihres (relativ jüngeren) Alters weniger ernst genommen werden.
Was jedoch bedeutet dies konkret in meiner Arbeit? Wie gehe ich als Mediator*in damit um, dass wir alle im Alltag unterschiedlich privilegiert sind? Wie gehe ich mit vielfältigen Diskriminierungserfahrungen einerseits und den oftmals nicht bewussten Privilegien andererseits um? Spielen diese Erfahrungen von Konfliktparteien in meinen Mediationen eine Rolle und wenn ja welche?
Dies sind große Fragen, deren Beantwortung im Einzelnen über diesen Beitrag hinausginge. Hier geht es mir zunächst einmal um meinen grundsätzlichen Umgang damit.
Ob der Umgang mit Privilegien überhaupt zum Thema werden soll, habe ich als Mediatorin selbstverständlich nicht zu entscheiden. Ich kläre allerdings mit den Konfliktparteien explizit, ob dies für sie ein Thema sein soll, indem ich beispielsweise frage: „Spielt Ihr jeweiliges Geschlecht/Alter/sexuelle Orientierung … für Sie in diesem Zusammenhang eine Rolle und sollte dies im Rahmen der Mediation Raum bekommen?“
Ich vermute, dass es diesem Umstand meines aktiven Nachfragens und Raumgebens geschuldet ist, dass mir in meinen Mediationen das Thema Umgang mit Privilegien und Diskriminierungserfahrungen recht häufig begegnet, während es einigen Kolleg*innen kaum zu begegnen scheint.
Gleichzeitig ist mir sehr bewusst, dass ich aufpassen muss, den Beteiligten nicht mein Thema auf den Schoß zu setzen. Ich reflektiere mich im Rahmen von kollegialer Supervision regelmäßig, damit ich wirklich offen dafür bleibe, dass meine Frage genauso gut von der Betroffenen bejaht wie verneint werden kann. Tatsächlich kommt beides vor – und wenn sie verneint wird, lasse ich diese Hypothese wie jede andere sofort fallen.
Wenn die Frage jedoch bejaht wird, so gebe ich Bedeutungsgeschichten Raum: Erzählungen, was es (auch) heißt, beispielsweise als Frau, Kind von sogenannten Gastarbeiter*innen aus der Türkei, als Schwarze, als Rollstuhlfahrer in Deutschland zu leben. Mediand*innen äußern öfter, wie wohltuend es für sie war, wenn ihr durch unterschiedlichste Diskriminierungserfahrungen hervorgerufenes Leid von mir, aber auch von der anderen Konfliktpartei gehört, gesehen und somit anerkannt wurde.
So manches Mal hinterfragen Beteiligte mit Privilegien diese im Kontext der Mediation und entwickeln neue Handlungsoptionen. Außerdem gebe ich bewusst Raum, um Leid darüber zum Ausdruck bringen, wenn das Bemühen, achtsam und sensibel mit Privilegien umzugehen, im Alltag nicht gesehen und wertgeschätzt wird. Auch Privilegierte fühlen sich in der Mediation manchmal erstmals gehört.
Zu guter Letzt gibt es nach einem intensiven Austausch in der Regel einen konkreten Rückbezug auf das Miteinander der Mediand*innen als Beziehungspartner*innen, Kolleg*innen oder Nachbar*innen und sehr konkrete Vereinbarungen zum Umgang mit Privilegien im Alltag: Da entschied beispielsweise ein Sozialverband, keine Vertreter*innen mehr auf Podien zu entsenden, wenn diese Podien ausschließlich weiß und männlich besetzt sind; eine Drogenhilfeeinrichtung vereinbarte eine Fortbildung zum Umgang mit Transpersonen; ein heterosexuelles Paar entschied sich dafür, dass sie beide in gleichem Umfang Elternzeit nehmen werden und die Kündigung des Vaters und die damit verbundenen finanziellen Einschränkungen in Kauf nehmen werden.
Wie gehen Sie als Mediator*in mit Privilegien und Diskriminierungen um und welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?