Das mag auch damit zu tun haben, dass ich mit meinem Grundberuf als Psychologin tendenziell eher für im weitesten Sinne klar zwischenmenschliche Konfliktlagen angefragt werde. Ich weiß, dass juristisch vorgebildete Kolleg*innen weit häufiger mit stärker „verrechtlichten“ Konflikten zu tun haben – und es allein deswegen regelmäßig mit Schriftstücken, z.B. Verträgen, Sitzungsprotokollen oder anwaltlichen Briefwechseln zu tun haben.
Nichtsdestotrotz gibt es auch in meinen Mediationen diese Momente, wo eine Mediationspartei ein Schriftstück aus ihrer Tasche zieht und es in die Klärung mit einbeziehen möchte – so etwa neulich, in einer Mediation zwischen zwei Abteilungsleitern einer Behörde:
„Ich habe den Brief auch mitgebracht“, sichtlich bewegt zieht der Abteilungsleiter mehrere Seiten aus seiner Jackett-Tasche und legt sie langsam auf den Tisch. Er wartet einen Moment und sagt dann: „Ich kann das auch vorlesen, was ich geschrieben habe – da habe ich eigentlich alles gesagt, was dazu zu sagen ist!“ Ein fragender Blick in Richtung Mediatorin: „Sie können das auch lesen…“ Zögernd schiebt er den Brief in meine Richtung. Auch die andere Mediationspartei schaut mich gespannt an; ihr scheint etwas unbehaglich zumute zu sein.
Und nun? Ich habe die Qual der methodischen Wahl: Dem Abteilungsleiter aktiv zuhören und seinem Interesse auf die Spur kommen, das er durch das Herausholen des Briefes ausdrückt? Fragend in Richtung des anderen Abteilungsleiters blicken und klären, wie er zu diesem Brief steht? Meine grundsätzliche Haltung – so ich sie denn habe – im Umgang mit schriftlichen Dokumenten in der Mediation erläutern? Oder doch den Brief nehmen und lesen?
Wenn ich diese eher seltenen Momente mit Dokumenten in Mediationen vor meinem inneren Auge Revue passieren lasse, dann habe ich nicht das eine Rezept für den Umgang damit, sondern lasse mich stark von den Besonderheiten der jeweiligen Mediationssituation leiten. Als roten Faden kann ich dennoch mittlerweile identifizieren, dass ich viel dafür tue, mich nicht selbst mit den Schriftstücken zu befassen und sie zu lesen – selbst wenn Parteien mich explizit dazu auffordern. Dafür gibt es verschiedene Gründe auf verschiedenen Ebenen:
- Auf einer rein praktischen Ebene bin ich, wenn ich während einer Mediationssitzung lese, nicht gut im Kontakt mit allen Beteiligten.
- Auf einer methodischen Ebene frage ich mich, was der Mehrwert meines Lesens gegenüber dem Dialog über das Geschriebene sein könnte. Das Gelesene als solches bringt weder mich noch die Mediationsparteien einen Schritt weiter. Ich werde das Gelesene wie Gesagtes behandeln und darüber sprechen – weshalb dann nicht gleich sprechen?
- Auf der Ebene des Verständnisses der Parteien kann ich das Bedürfnis nach Würdigung des Geschriebenen gut nachvollziehen: In einem Brief, in einer E-Mail stecken Mühe und viele Abwägungen. Ein Schriftstück hat in gewisser Weise auch Beweis-Charakter und suggeriert damit, irgendwie „wahrer“ zu sein als das, was die Parteien aus ihrer subjektiven Sicht heraus bisher erzählt haben. Gerade wegen dieser diffusen „Schwingungen“ eines Schriftstücks möchte ich auf der Ebene meiner Haltung vermeiden, in eine Rolle als Beweiswürdigerin zu geraten. Das gelingt mir, so meine Erfahrung, umso besser, je mehr das Geschriebene in den Händen der Parteien bleibt – und ich dafür sorge, dass es gut besprechbar wird.
Welche Rolle spielen Dokumente in Ihren Mediationen? Und wonach entscheiden Sie Ihren Umgang damit?