Wenn ich jedoch mein alltägliches Umfeld betrachte, dann stelle ich fest, dass Mediation als eine Form des Umgangs mit Konflikten noch nicht wirklich in allen Lebenslagen angekommen zu sein scheint. Während die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass ein Paar mit Kindern, das sich trennt, aus seinem Umfeld den Hinweis auf Mediation als Unterstützung erhält, ernte ich in anderen Bereichen noch regelmäßig Erstaunen, wenn ich frage, ob schon über Mediation nachgedacht wurde.
Da berichtet mir beispielweise der Vater eines Freundes meines Kindes beim Abholen zwischen Tür und Angel davon, wie unglaublich anstrengend es gerade mit seinen Geschwistern sei, weil sie völlig unterschiedliche Vorstellungen davon hätten, was der beste Umgang mit der demenzkranken Mutter sei. Er hätte sich sowas nicht träumen lassen. Spontan frage ich ihn, ob er bei einem Kaffee drüber reden möchte. Eine halbe Stunde später verlässt er hoffnungsvoll das Haus. Und wiederum ein paar Tage später bittet er mich um Empfehlungen, da seine Geschwister ein moderiertes Gespräch auch für eine gute Idee halten würden.
Beim Spaziergang treffe ich eine Nachbarin, die recht erschöpft aussieht. Sie erzählt mir, dass sie mit ihrem Geschäftspartner nun wohl vor Gericht landen wird. Sie würden das gemeinsame Unternehmen aufgeben. Sie hätte sich so auf ihren Ruhestand gefreut. Aber nun könnten sie sich nicht einigen, ob sie den Firmensitz verkaufen oder verpachten – und ihr Anwalt habe ihr geraten, vor Gericht zu gehen. Glücklich sieht sie nicht aus. Auf meine Frage, wie es ihr damit gehe, seufzt sie, dass ihr vor einem langen Gerichtsverfahren wirklich gruseln würde und sie so gern in Frieden mit ihrem Partner auseinander gehen würde. Ob denn Mediation vielleicht eine Alternative sein könnte, frage ich. "Meinst du?", fragt sie mich zurück. Mediation kann meines Erachtens in solchen Konflikten Zeit, Geld und oftmals auch Nerven sparen. Es besteht zumindest die Chance, dass beide am Ende in Frieden auseinander gehen – eine Garantie gibt es natürlich nicht. Wochen später erzählt sie mir, dass ihr Partner sich nun unter der Bedingung, den Mediator vorzuschlagen, darauf eingelassen hätte, erst einmal nach einer einvernehmlichen Lösung zu suchen.
In der Pause einer Mediationsausbildung klagt ein Teilnehmer darüber, dass er sich das Eltern-Werden einfacher vorgestellt hätte. Ständig würde er mit seiner Liebsten darum ringen, wer denn nun wann das Kind betreut und wer was im Haushalt machen müsste. Das würde sie beide mittlerweile völlig fertig machen. Bevor ich vorsichtig die Mediationsoption in den Raum werfen kann, fällt eine andere Teilnehmerin mit der Tür ins Haus: „Das klingt ja wohl danach, dass ihr Zwei mal eine Mediation machen könntet!“ Es entspinnt sich eine Diskussion darüber, ob denn Mediation auch etwas für derartige Alltagsprobleme sein könnte. Am nächsten Ausbildungswochenende bittet mich der Teilnehmer nach Rücksprache mit der Kindesmutter, doch mal bei den frischen Absolvent*innen der Vorjahres-Ausbildung zu fragen, ob da nicht jemand Lust und Zeit hätte, mit den beiden Mediation zu üben.
Drei kleine Erfolgsgeschichten der letzten Monate… Bleibt anzumerken, dass es nicht immer so läuft: So manches Mal höre ich in Variationen, dass es „so schlimm ja noch nicht sei“ oder die andere Konfliktpartei sich Mediation partout nicht vorstellen könne. Ich führe keine Statistik darüber, aber ich schätze intuitiv, dass mindestens die Hälfte, vielleicht sogar zwei Drittel der von mir „angeschubsten“ Mediationen (erst) einmal nicht zustande kommen. Manchmal jedoch sprechen mich Menschen auch Monate und sogar Jahre später wieder an und fragen mich unerwartet nach einer Empfehlung.
Vielleicht sind viele Leser*innen ja bereits Botschafter*innen der Mediation… Falls nicht, würde ich mich freuen, wenn die eine oder der andere sich berufen fühlt, zukünftig mit der bewussten Mediationsbrille durch den eigenen Alltag zu gehen.