Meiner Erfahrung nach ist es für alle Beteiligten jedoch sehr schwer, gemeinsam konstruktiv an einem Sachthema zu arbeiten, wenn der anderen Gruppe keine guten Absichten mehr unterstellt werden.
Ich habe mir deshalb angewöhnt, mit beiden Gruppen getrennte Vorgespräche zu führen, in denen ich neben meinen üblichen Punkten auch danach frage, was sie denn glauben, wie die andere Gruppe sie sieht. Wenn mir jetzt Hypothesen in Form von negativen Zuschreibungen entgegengebracht werden, mache ich den Vorschlag, sich Zeit für die Bearbeitung dieser Bilder zu nehmen: Da es sich nicht besonders gut verhandeln lässt, wenn die Beteiligten mit der Faust in der Tasche am Tisch sitzen, sollte dies vor der Bearbeitung des Sachthemas geschehen.
Häufig ist den Beteiligten selbst bewusst, dass der Konflikt die Sachebene verlassen hat, sodass beide Seiten meinem Vorschlag erleichtert zustimmen.
In anderen Kontexten, wie beispielsweise in Dialogen zwischen Schwarzen und Weißen in Südafrika oder zwischen Menschen christlichen und muslimischen Glaubens in Nigeria sind Fragen zur Arbeit mit Bildern über die andere Gruppe verbreitet. Ich habe diese Art der Gesprächsvorbereitung in einer Fortbildung bei Imam Muhammad Ashafa und Pastor James Wuye aus Nigeria kennen gelernt1.
Mittlerweile habe ich mit vier Fragen bei der Bearbeitung von Konflikten zwischen Gruppen in Organisationen positive Erfahrungen gemacht, die ich hier gerne teilen möchte:
Als erstes bekommen beide Gruppen von mir als Hausarbeit folgende Fragen, über die sie sich vor dem moderierten Gespräch intern austauschen sollen:
- Wie sehen wir die andere Gruppe?
- Was vermuten wir, wie die andere Gruppe uns sieht?
- Wie möchten wir von der anderen Gruppe gesehen werden?
- Was ist uns generell für die Zusammenarbeit zwischen unseren Gruppen wichtig?
Anschließend bereite ich mit jeder Gruppe vor, wer stellvertretend in welcher Form die gefundenen Antworten vorträgt, damit die Aussagen für die Vertreter*innen der anderen Gruppe gut hörbar sind. Ich ermutige, kritische Punkte deutlich anzusprechen, und gleichzeitig unterstütze ich dabei, Abwertungen in Wahrnehmungen umzuformulieren.
Zuletzt kläre ich vorab, welche Gruppe beginnen möchte und welche erst einmal zuhört. Ich überlasse diese Entscheidung, wer beginnt, hierbei komplett den Beteiligten. Ein*e Stellvertreter*in trägt für die jeweilige Gruppe vor, wo sie bei der Vorbereitung gelandet sind. Andere aus der Gruppe ergänzen bei Bedarf.
Die Beteiligten merken hierbei, dass es eine große Schnittmenge gibt, wie sie gern von der anderen Gruppe gesehen werden möchten und was ihnen grundsätzlich für die Zusammenarbeit wichtig ist.
In der Regel dauert dieser Prozess etwa eine Stunde. Und danach schicke ich alle erst einmal in eine Pause.
Vereinbarungen werden nur in seltenen Fällen getroffen. Darum geht es hier nicht. Hier geht es schlicht darum, Geröll aus dem Weg zu räumen, welches einer Vereinbarung beim konkreten Sachthema im Weg steht.
Wenn sich die Gruppen anschließend wiederum dem Sachthema widmen, fühle ich mich so manches Mal nahezu überflüssig, sind die Beteiligten doch in der gemeinsamen Aushandlung in der Regel überaus erprobt und entwickeln inun auf der Basis der Interessen überaus kreative Ideen, wie sie denn mit der Situation weiter verfahren würden.
Über die Jahre bin ich ein Fan dieser vier "Zauberfragen" geworden. Ich würde mich freuen, wenn vielleicht die eine oder der andere sie einmal selbst ausprobieren möchte oder - falls vorhanden - eigene Lieblingsfragen im Kommentar teilen möchte.
1 Wuye/Ashafa (2018). Vom Hass zur Versöhnung. Alexander Redlich im Gespräch mit Pastor James Wuye und Imam Mohammed Ashafa. Konfliktdynamik 7(1), S. 78-81.